Wo ich geboren wurde, weiß ich nicht. Was macht es für einen Unterschied, ob es Nassau war oder Port Royal oder irgendein anderes Loch, aus dem ich gekrochen bin? Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Einfluss auf mein Leben gehabt hat, welche Luft ich zuerst geatmet habe. Genauso wenig weiß ich über meine Eltern. Ich nehme an, sie haben mich verkauft – entweder aus purem Desinteresse oder um die anderen 10 Mäuler zu stopfen, die es schon gab zu Hause. Wenn es so war, hatte ich wohl einfach nur Pech der Jüngste zu sein. Es kümmert mich wenig. Manche können das nicht verstehen, aber ich erkläre es gerne: ich bin überzeugt davon, dass mich zu Hause kaum mehr Liebe erwartet hätte, als dort, wo ich aufgewachsen bin. Albinus. Er hielt mich als Kinderarbeiter unter seinen Sklaven und als Sklave wuchs ich auf. Die erste bewusste Erinnerung in meinem Leben ist der Schmerz, den das glühende Eisen auf meiner Haut hinterlassen hat, als er mich als seinen Besitz gebrandmarkt hat. Ich war der Niederste unter den Niederen, aber es war mein Leben und es zeigte mir, was mehr, als alles andere wollte: Freiheit. Ganz gleich wie hoch der Preis sein mochte. Als ich älter wurde und kräftig genug, um mit den Erwachsenen zu arbeiten, setzten die Schläge ein. Man war zu schnell oder zu langsam, man trank zu viel oder war zu gut gelaunt – es war vollkommen egal, was man tat oder nicht tat. Sie fanden immer einen Grund zuzuschlagen wie aus dem Nichts. Und ich lernte weiter. Ich musste hinsehen und beobachten, wenn ich vorgewarnt sein wollte. 17 verfluchte Jahre habe ich in dieser Hölle gelebt, bis ich eines Nachts durch einen Zufall, Mut und pure Verzweiflung fliehen konnte. Nur ein kleiner Moment der Unachtsamkeit reichte aus, damit ich mich ins Dickicht schlagen und bis zum Strand gelangen konnte. Blackbeard. Wo immer der Name erwähnt wird, zittern die Menschen. Zugegeben, auch ich werde nervös. Damals, als Edward Teach mich ausgehungert und halb verdurstet in meinem Versteck am Strand fand, war das nicht so. Er war freundlich zu mir und nahm mich auf. Er fand einen Platz in seiner Crew und er wurde mehr, als mein Captain. Ein Mentor. Von ihm lernte ich alles, was ich heute über das Leben auf See weiß. Wie entkommt man der Navy? Wo findet man die lohnendsten Prisen? Wie geht man mit Verrätern um? Er war es, der mich vor Neidern in seiner Crew beschützt hat, damit ich mich weiterentwickeln und meinen Platz neben ihm finden konnte. In dieser Zeit lernte ich jemanden kennen, der mein ganzes Leben auf den Kopf stellen sollte und mich zum Verräter machte. Nicht sofort, aber vier Jahre später. Ich war etwa ein Jahr in Blackbeards Crew, als wir länger in Nassau anlegten. Der Ort, von dem ich geflohen war und der Ort, den Edward Teach selbst mitbegründet und zu dem gemacht hat, was er heute ist. Wie so oft nahm mich Teach mit, damit ich sehen konnte, wie er seine Ware verkaufen wollte und dort traf ich sie das erste Mal: Eleanor Guthrie. Noch heute erinnere ich mich an den Moment. Die blonden Haare, die klugen Augen, die alles zu sehen schienen, ihre hübsche Figur. Schon damals stellte ihre scharfe Zunge alles andere in den Schatten. Wir kamen und gingen, wie es sich ergab und wie die Geschäfte eben liefen. Bei jedem Besuch Nassaus hoffte ich sie zu sehen. Eleanor. Ich lernte weiter und wurde erwachsen. Ich verstand, dass ich nicht nur frei sein wollte, sondern mein Leben auch nach meinen Regeln leben wollte. Es war Eleanor Guthrie, die diese Türe für mich öffnete. Heute weiß ich, dass das Zufall war. Es ging nie darum, wie mein Leben aussehen sollte, sondern um ihres und ich war gerne bereit mitzumachen, wenn ich nur weiter ihr Bett teilen konnte. Ihren Körper, ihre Aufmerksamkeit und ihre Liebe – das war alles, was ich haben wollte. Am Ende kostete es Edward Teach seine Vormachtstellung in Nassau. Wohin er ging, weiß ich nicht, aber wenn jemand den Namen erwähnt, werfe ich lieber zweimal einen Blick über die Schulter. Und mich? Kostete es alles, was ich hatte. Blackbeard war fort und ich wollte mir mit Eleanor eine Zukunft aufbauen… sie kam nicht. Es dauerte Stunden, bis ich begriff, dass Eleanor keine Zukunft in mir sah. Captain Charles Vane. Ich kehrte Nassau den Rücken. Zum zweiten Mal. Ich schlug mich durch nach Port Royal und heuerte auf verschiedenen Schiffen an. Ich lernte weiter und arbeitete mich nach oben. Ich sah Fehler, die gemacht wurden und wie wichtig das Wohlwollen der Crew für den Captain war. Ich war beteiligt daran Kapitäne abzusetzen und war immer einer der ersten, die gute Beute gegen den Wind riechen konnten. So vergingen die Jahre und ich legte in vielen Häfen an, aber wann immer wir nach Nassau kamen, blieb ich auf dem Schiff. Ich sah, wie die Stadt größer wurde und das Treiben am Strand zunahm, bis mich die Neugier an Land trieb. Damals lernte ich Jack Rackham und Anne Bonney kennen. Immer wieder begegnete ich ihnen, wenn ich in Nassau an Land ging. Vielleicht ist die Zeit einfach reif gewesen oder vielleicht ist es Jacks verrücktes Hirn gewesen… wer kann das so genau sagen. Jedenfalls wurde ich der nächste Captain der „Ranger“. Es gibt Gerüchte, wie das abgelaufen ist, aber sollen die Leute doch reden. Was kümmert es mich? Seit 1 Jahr bin ich also nun Captain eines Schiffes und eines habe ich schnell gelernt: wer als Captain einer Piratencrew überleben will, muss irgendetwas besonders gut können. Ich bin kein Stratege und ich bin nicht belesen. Also gab es für mich nur einen Weg: ich habe mir einen Ruf erkämpft durch pure Brutalität. Wer den Namen Charles Vane hört, weiß worauf er sich einlässt.